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Badische Neueste Nachrichten 4/97

Badische Neueste Nachrichten - 04/1997


 

Die Crux mit der Drosselgasse


Rüdesheim sucht Alternative zu "Wein, Weib und Gesang" / Neues Tourismuskonzept entwickelt / Rheinromantik soll wiederbelebt werden
 
Gemächlich schwebt die offene Gondel dahin. Die kleine Seilbahn läßt sich Zeit für die Strecke von der Rüdesheimer Innenstadt hinauf zum Niederwald. Gelegenheit, den Blick schweifen zu lassen. Die Fahrt geht durch sattgrüne Weinberge, das Städtchen zu ihrem Fuß wirkt malerisch und beschaulich: Souvenirbuden und Touristenmassen bleiben dem Blick verborgen. Auf dem Rhein stampft gerade ein Lastkahn stromaufwärts. Am Ortsrand die Weinbrennerei Asbach, eines der drei Wahrzeichen des Touristenmekkas im Rheingau. Das zweite ist von hier oben nicht zu sehen. Die Drosselgasse, laut Merian "weltweit Inbegriff deutscher Weinseligkeit", verbirgt sich zwischen alten Häusern.
Im neuen TouristenProspekt der 10.000 Einwohner-Gemeinde mit den 3600 Gästebetten verbirgt sich die "heimliche Hauptstraße des Rheingaus" irgendwo auf Seite vier. Und Uwe Carli, stellvertretender Leiter des Fremdenverkehrsamtes, spricht als erstes von den Reizen der Landschaft, wenn er für Rüdesheim werben soll. Ideal, so sagt er, ließe sich die Umgebung von hier aus erschließen. Solche Worte klingen ungewohnt. Noch vor knapp zwei Jahren, gibt Carli zu, war man hier vor allem bestrebt, den Besucher im Ort zu halten. Erst mit einem neuen Verkehrsamtsleiter verschwand dieses "Kirchturmdenken" und man begann, mit Nachbargemeinden zusammenzuarbeiten und den Ort als Bestandteil seiner Umgebung zu sehen. Die Tourismus-Manager haben nämlich die Crux mit der Drosselgasse erkannt: Das Ziel für Massen erzeugt gleichzeitig ein gewisses Schmuddel-Image. Jetzt gilt es, Rüdesheim in ein neues Licht zu rücken. Dabei muß eben auch über Ortsgrenzen hinweg gedacht werden.
Doch der neue Verkehrsamts-Chef kam zehn Jahre zu spät, heißt es in Rüdesheim. Jetzt blickt man hier mit Sorge auf die Besucherzahlen. Zwar kommen nach wie vor rund 2,7 Millionen Tagesgäste im Jahr, aber immer weniger wollen auch für länger bleiben. Innerhalb der letzten zehn Jahre, rechnet Carli vor, ist die Übernachtungszahl um 110.000 auf 340.000 jährlich zurückgegangen. Dabei sind es nur die ausländischen Feriengäste, die es nicht mehr so stark nach Rüdesheim zieht. Das ist nicht zuletzt eine Folge immer billiger werdender Charterflüge. Dadurch hat der Ort seine Bedeutung als "stop over"-Ziel für Briten und Nordeuropäer, die in den Süden wollen, verloren. Die langfristige Stärke der D-Mark, die den Ausländern ungünstige Wechselkurse beschert, kommt erschwerend hinzu.
Jetzt will man den Trend umkehren. Ziel muß es sein, so Carli, die durchschnittliche Übernachtungsdauer eines Gastes von derzeit 1,9 auf zwei bis drei Tage zu erhöhen. Es leuchtet ein, daß man diese Zeit nicht ausschließlich in dem kleinen Ort verbringen kann, wie noch vor kurzem propagiert.

Die Seilbahngondel hat ihr Ziel erreicht. Und nach fünf Minuten zu Fuß auf geteertem Weg durch den schattigen Niederwald, hoch über dem Rhein, auch der Besucher. Dann steht er oben beim dritten und mächtigsten Wahrzeichen von Rüdesheim und läßt sich fotografieren vor der riesigen Germania. Neben Drosselgasse und Weinbrennerei ist das Niederwalddenkmal untrennbar mit dem Ort assoziiert. Seit 1883 hält hier die kolossale Statue "Wacht am Rhein" und seitdem zieht sie auch in Massen die Besucher an. Seit gut 40 Jahren können sie mit der Seilbahn herauffahren - und nach kurzem Blick über das romantische Rheintal wieder hinunter, um in der Drosselgasse ein bißchen mehr als ein Schlückchen Wein in Ehren zu nehmen, zur Orgel eines Alleinunterhalters zu tanzen, um schließlich schweren Herzens und mit schwerem Kopf per Reisebus Rüdesheim zu verlassen. Und sei es nur, um ein Stück rheinabwärts zu fahren, wo Hotels mit Billigübernachtungen locken.
Dabei gäbe es noch soviel zu erschließen rund um Rüdesheim. Allein der Niederwald bietet gut 50 Kilometer Wanderwege. Wer bei der Germania gleich wieder umkehrt, versäumt zum Beispiel den Weg "rund um den Niederwald" mit vielen lohnenden Aussichtspunkten auf das Rheintal und der Möglichkeit, mit Sessellift und Schiffchen nach Rüdesheim zurückzukehren. Das ist einer der vielen Vorschläge, die Uwe Carli seinen Gästen präsentiert. Ein günstiges Kombiticket für Seilbahn, Sessellift und Schiff soll zu der Rundtour verlocken. Andere Angebote laden zur Burgenfahrt ein oder dazu, Rhein und Mosel zu erkunden. Auch in Rüdesheim selbst gibt es noch mehr als Drosselgasse und Souvenirläden. Das Weinmuseum, ein Motorroller- und ein Foltermuseum zum Beispiel, oder eine Führung durch die Weinbrennerei Asbach.
Die wahre Attraktion aber ist "Siegfrieds Mechanisches Musikkabinett". Und das ist wirklich einen Besuch wert. Eine dreiviertel Stunde dauert die Führung durch das private Museum im alten Rittersitz Brömserhof (gleich oberhalb der Drosselgasse); rund zwanzig der über 300 Instrumente sind zu hören. Und alle spielen sie von selbst, der kuriose "musikalische Stuhl" ebenso wie mächtig tönende Kirmes-Orchestrions mit Pauken und Trompeten. Wenn so ein Kasten langsam zu ächzen beginnt, gleichsam losschnauft und dann die ersten Töne anschlägt, um bald den Klang eines ganzen Orchesters zu erzeugen, scheint verständlich, warum Siegfried Wendel die Faszination für diese Maschinen nicht mehr losgelassen hat. Der sympathische Mann mit dem grauen Rauschebart und der goldenen Nickelbrille ist Gründer und Betreiber des einzigartigen Museums für automatische Musikinstrumente. Der Liebhaber von Kirmesorgeln und Walzenklavieren ist von regem Besucherzustrom abhängig, um seine große Sammlung halten zu können.
Ebenso wie Wendel braucht auch ganz Rüdesheim seine Besuchermassen. Der Ort lebt vor allem vom Fremdenverkehr; erst danach folgen Weinbau und die Weinbrennerei Asbach mit rund 300 Beschäftigten. Uwe Carli findet das Wort "Massentourismus" denn auch nicht so schlimm: "Immerhin müssen hier 12.000 (!) Restaurantplätze besetzt werden." Aber das Unterhaltungsangebot in der Drosselgasse, bei Reisegruppen aus ganz Deutschland nach wie vor beliebt, sei eben "nicht jedermanns Sache".
Um das Image von Rüdesheim ein wenig von "Wein, Weib und Gesang" wegzubekommen, hat die neue Verkehrsamtsriege ein Leitbild erarbeitet. Mit einem "qualitativ verbesserten Angebot" (Carli) will man neue Besucherschichten ansprechen. Unter anderem soll der Niederwald zum "Geschichtspark" werden: Eine ganze Reihe kleiner Tempelchen stand zu den Zeiten der Romantiker, die sich bevorzugt im Rheingau ergingen, an reizvollen Aussichtspunkten und verlockte zum Bleiben. Jetzt ist "angedacht", sie wieder zu errichten, sagt Carli. Vielleicht verlocken sie dann manchen Besucher, länger als nur 1,9 Nächte in Rüdesheim zu bleiben.

 

 
Reiseinformationen:
 
Information und Zimmervermittlung:
Tourist-Info Rüdesheim, Rheinstraße 16, 65385 Rüdesheim am Rhein, Tel. 06722/19 433, Fax 06722/34 85
Anreise:
Mit dem Auto über die B 42 Wiesbaden-Koblenz, mit der Bahn in einer halben Stunde ab Wiesbaden Hauptbahnhof.
Museen und Führungen:
Siegfrieds Mechanisches Musikkabinett, Oberstraße 29, Tel. 06722/49217, geöffnet täglich von 10-22 Uhr.
Weinmuseum Brömserburg, Rheinstraße, Tel. 06722/2348, geöffnet täglich 9-18 Uhr.
Motorrollermuseum Aßmannshausen, Bohrenweg 15, Tel. 06722/46 96, geöffnet täglich außer Montag 10-18 Uhr.
Mittelalterliches Foltermuseum, Grabenstraße 13, Tel. 06722/4 75 10, geöffnet täglich 10-18 Uhr.
Alle Museen haben außerhalb der Saison, von Anfang November bis Mitte März, geschlossen.
Weinbrennerei Asbach GmbH&Co., Im Rottland 2, 06722/1 23 45, Führungen täglich außer Sonntag 9-16 Uhr, Freitag bis 12 Uhr.
Ausflüge:
Die Seilbahn zum Niederwalddenkmal verkehrt in der Saison täglich nonstop ab 9.30 Uhr bis nachmittags.
"Rund um den Niederwald": Mit der Seilbahn von Rüdesheim zum Niederwalddenkmal, mit dem Sessellift nach Aßmannshausen und mit dem Rheinschiff zurück. Kombi-ticket für 12,50 DM bei der Tourist-Info.
"Burgenfahrt": Mit dem Rheinschiff zur Burg Rheinstein und zurück. Kombiticket inklusive Eintrittskarte zur Burg für 12,50 DM bei der Tourist-Info.


 
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