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Nürnberger Nachrichten 9/96

Nürnberger Nachrichten - Nürnberger Anzeiger - 09/1996


 

Die beiläufige Poesie
der Klemmen und Muffen


Ein Besuch im Kabelmuseum der Ewag in der Tullnau
 
Klemmbrettmuffen, Gürtelkabel und Streifensicherungen wirken nur auf phantasielose Menschen langweilig. Und dem spröden Charme eines Kabelhundes könnten wohl selbst die nicht widerstehen.
Sogar eine "Gruselkammer" hat das Kabelmuseum der Ewag, das sich bescheiden vor einer größeren Öffentlichkeit versteckt. Aufgeschlossen wird der geräumige Schuppen auf dem Ewag-Gelände in der Tullnau nur bei Bedarf. Ab und zu bringen Lehrer Schulklassen her, am Tag der offenen Tür ist schon mal Dauerbetrieb, doch dann sind wieder eingefleischte Kabelkenner und Auszubildende der Ewag unter sich.
Für die jungen Kabelmonteure ist ein Besuch im Museum Pflicht. Schließlich sind viele der historischen Stücke auch heute noch im Einnsatz, etwa die Abzweigmuffe für Erdkabel, Modell 1920. Das alte Stück führt immer wieder zu Störungen im Stromnetz, weiß Norbert Himmer, der als Kabelmeister auch für die Instandhaltung der Leitungen verantwortlich ist. Da ist es schon gut, wenn ein Monteur das antike Innenleben so eines schwarzen Metallgehäuses nicht erst im Ernstfall kennenlernt.
Ulrich Schneider kann dem Ausstellungsstück noch ganz andere Qualitäten abgewinnen. Der Abteilungsleiter hat das Kabelmuseum zu seinem Steckenpferd gemacht. Am Beispiel der "antiken" Klemmbrettmuffe erklärt er den großen handwerklichen Aufwand, der vor Jahrzehnten noch betrieben wurde. Heute muß halt auch beim Kabel alles schneller, billiger und einfacher gehen. Wo früher als Hausanschlußkästen noch formschöne Töpfe aus Gußeisen mit glänzenden Porzellanisolatoren im Keller hingen, da ist jetzt nur noch von Direktanschlußklemmen, Schrumpfschläuchen und Kabelschuhen die Rede.
Klar, daß auch der Kabelhund ausgedient hat. Statt mit der verwinkelten Konstruktion aus Metallrohren, Rollen und Motor werden Leitungen heute mit High-Tech-Gerät durch die Erde gezogen Dem Besucher des Kabelmuseums wird bei all den Erklärungen schnell klar: Allein die beiläufige Poesie der Fachausdrükke lohnt den Weg.
Und dann erst die "Gruselkammer". Hier ruhen in den einfachen Stahlregalen Zeugnisse tragischer und nicht ganz so tragischer Zwischenfälle im Kabelnetz: Schraubenzieher mit geschmolzenen Spitzen, explodierte Verteilerkästen, Erdkabel im Würgegriff von Baumwurzeln. Was aussieht wie ein antikes Schwert, ist eine verrottete Kupferleitung. Im Plexiglaszyliäder auf einem Holzgestell liebevoll wie ein Flaschenschiff präsentiert, liegt ein Stück aufgedunsenes Kabel. „Störung Probsteistr 210, 23.10.1984" erklärt ein Schildchen das Exponat.
Zu solchen und anderen Störungen mußten die Kabelmonteure ehedem mit Handwagen durch die ganze Stadt ziehen. Daran erinnern die zwei Schaufensterpuppen im Blaumann, deren unvermuteter Anblick beim Betreten der "Gruseikammer" erst für den richtigen Schrecken sorgt. Daß die Arbeiter damals ganz besonders durstig".wurden, daran kann kein Zweifel bestehen. Und so sind den Puppen auch ein paar alte Bierflaschen zur Seite gestellt - selbstverständlich leer.
Die Sammelleidenschaft der Ewag-Mitarbeiter hört bei Kabeln eben nicht auf. Und so birgt das Museum ein kleines Stück Industriekultur. Eine fachkundige Führung vorbei an Litfaßsäule, Netzplänen und Kurbeltelefonen läßt immer wieder die Geschichte der Nürnberger Stromversorgung aufscheinen. Die hatte vor genau hundert Jahren, 1896, ein paar Meter weiter begonnen.
In der Tullnau wurde Nürnbergs erstes Elektrizitätswerk errichtet. Aus den damals gut 1000 Kunden sind inzwischen 331.000 geworden. Das Kraftwerk hatte schon 1913 ausgedient, heute stehen in dem großen Backsteinbau statt Turbinen nur noch Lagerregale. Noch wird das gesamte Gelände von der Abteilung Kabelmontage genutzt. Doch Anfang nächsten Jahres sollen Gerät und Mitarbeiter auf das große Betriebsgelände in Sandreuth umziehen.
Was dann aus dem Ensemble in der Tullnau wird, ist bislang unklar. Laut Ewag-Pressesprecher Ernst Schell gab es bisher einige Anfragen von Firmen, die das Gelände als Lager nutzen möchten. Über eine langfristige Lösung habe man indes noch nicht konkret nachgedacht. Sollte das Gebiet in einen neuen Bebauungsplan der Stadt einbezogen werden, würde dies sicher das Aus für die reizvollen Backsteinhallen bedeuten.


 
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